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Gratkönige

Schafjagd in Kamtschatka
Waidwerk in lebensfeindlicher Wildnis fordert dem Jäger alles ab. Armin Lobscheid erfüllte sich seinen Widdertraum in rauen, russischen Gefilden.
Leise hört man nur das Rauschen des nahen Baches. Es ist stockdunkel in der kleinen Holzhütte, die als Außencamp für die Schafjagd dient. Plötzlich werden die Pferde unruhig und „melden“. Dann schlägt auch „Diek“‚ der sibirische Laikarüde an – ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Bär in der Nähe ist. Simon und Juri, die Jagdführer, springen sofort aus den Zelten und leuchten mit ihren Taschen­ lampen die Gegend ab. Aber in dem zwei Meter ho­ hen Unterwuchs hat man schon tagsüber so gut wie keine Chance, etwas zu sehen. Nach einer halben Stunde haben sich Pferde und „Diek“ beruhigt, Juri legt noch etwas nassen Farn aufs Feuer. Der Rauch wird den Bären fernhalten. Es waren zwar heute nur gut vier Stunden im Sat­ tel, aber für einen ungeübten Hintern reicht das schon. Zeitig waren wir aufgestanden und hatten nur das Nötigste gepackt. Zelte, Schlafsäcke und Pro­ viant ist für die Pferde schon Last genug! Diese Tiere, ohne die hier absolut nichts geht, sind auch im schwierigsten Gelände ausdauernd, trittsicher und genügsam. Das Satteln und Beladen der Packtaschen erfordert allergrößte Sorgfalt. Bei den stundenlangen Ritten darf nichts drücken oder scheuern. Der Ausfall eines Pferdes kann über Erfolg oder Misserfolg der ganzen Jagd entscheiden. Als wir aufbrechen, ist es recht warm, eigentlich T­Shirt­ Wetter. Dagegen sprechen die Moskitos. Lange Är­ mel, Moskitonetz und gutes Einsprühen sind Pflicht. Endlich erreichen wir die Bergkette, in der unser Jagdcamp liegt. „Hier oben überleben nur die Stärks­ ten. Wo das Thermometer im Winter oft bis unter 40 Grad fällt, gibt es nur Elche, Bären und in den Ber­ gen oberhalb der Strauchgrenze Schneeschafe.
We­ gen denen bist Du ja schließlichhier“, sagt Simon zu mir. Dieser Mann gilt als einer der besten Führer in ganz Kamtschatka und ist außerdem der Einzige, dem mein Reiseveranstalter vertraut, und auch Juri ist erfahren und führt seit über 20 Jahren Jäger auf Schneeschafe. Beide kennen diese unendlichen Weiten genau, und ihr Orientierungssinn fasziniert jedes Mal aufs Neue. Im ersten Morgengrauen reduzieren wir erneut un­ ser Gepäck auf das Wesentliche für drei Tage, der Rest bleibt in der kleinen Holz­ hütte zurück. Dann machen wir uns auf den Weg zum Hochlager. Wind kommt auf, Wolken und Sonne wechseln in schneller Folge. Vor uns liegt ein Ritt von fast sieben Stunden. Ständig muss Simon nach einem für die Pferde gangb aren Weg Ausschau halten.
Am nachmittag erreichen wir end­ lich unser Ziel. Auf einem nahegelege­ nen kleinen Plateau glasen wir erstmals den Talkessel unter dem Camp ab. Für heute ist es zu spät, noch in den Kessel zu steigen. In ungefähr drei Kilometer Entfernung sehen wir ein Rudel von sie­ ben Schafen am Ende des Tales direkt unterm Grat. Sie wechseln im Sonnenun­ tergang ins Nachbartal. Morgen werden wir ihnen nachsteigen. Weit über der Strauchgrenze steigen wir am nächsten Tag langsam den im­ mer steiler werdenden Hang hinauf. Als wir kurz unter dem Grat sind, zeigt Si­ mon nach oben. Langsam knien wir uns hin und verharren regungslos. Dann zeigt sich die Silhouette eines Schafs gegen den trüben Morgenhimmel. „Es hat uns nicht gesehen“, flüstert Simon. Wir trauen uns nicht einmal, die Gläser hochzunehmen. Sechs weitere Schafe folgen. Es ist das Rudel von ges­ tern Abend. Sie sind an der gleichen Stel­ le zurückgewechselt, an der sie gestern verschwunden sind. Moskitos umkreisen unsere Köpfe. Sie nutzen die Tatsache, dass wir uns nicht bewegen dürfen. Erst als das Rudel in einem Graben verschwunden ist, bewe­ gen wir uns wieder. Wo zieht das Rudel hin, ist die bange Frage. Plötzlich wabert Nebel über die Gipfel. Das hilft uns: Wir klemmen uns ungesehen an die Fersen des Wildes. Tatsächlich können wir bald Schemen der Schafe in der Nebelwand ausmachen. Jetzt kriechen wir Meter für Meter auf dem Bauch, bis wir auf Schussentfernung am Rudel sind. „Mach dich fertig. Wenn der Nebel aufreißt, sage ich dir, welches und die Entfernung“, zischt Simon mir zu. Wie auf ein geheimes Zeichen verflüch­ tigt sich die weiße Wand. „Dritter von rechts. 256 Meter“, folgt prompt die Ansa­ ge des Pirschführers.
im Glas habe ich einen starken Wid­ der, kann aber nur die Rückenlinie se­ hen. Der Rest des Körpers ist verdeckt. Plötzlich flüstert mein Führer: „Stop, Stop – ganz rechts“, der Nebel hat einen weiteren starken Widder freigegeben – noch stärker als der andere. Er hat sich schräg hangaufwärts niedergetan.
ich ziehe die Waffe fest in die Schulter und komme ruhig am oberen Ende der Kammer ab. Aufgrund meiner Körperhaltung kann ich nicht auf dem Stück bleiben, also repetieren und übers Glas sehen. Das Geschoss hat sein Ziel er­ reicht. Ich hatte richtig gehört, schwerer Kugelschlag! Das Stück rollt nach un­ ten, wird hoch und geht schwer krank mit dem Rudel ab. Viel zu hektisch und in sehr schlechter Position, schieße ich freihändig nach. Eine geht drunter, eine trifft. Hinten weich tief! Nach 80 – 100 Gängen bleibt der Be schossene stocksteif stehen, während das Rudel am Grat noch einmal verhofft. Ich krieche ein paar Meter vor, bringe mich in eine vernünftige Schussposition und halte nochmal hoch an, auch wenn der Widder augenscheinlich nicht mehr weiter kann. Im Knall bricht er zusammen und rollt einige Meter hangabwärts, bis er regungslos liegen bleibt. „Waidmannsheil“, höre ich von Simon und Juri gleichzeitig, und wir fallen uns in die Arme. Wir gehen gut zehn Minuten zum Stück. Ein wirklich starker und reifer Widder liegt vor uns: 14 Jahre ist er alt. Seine Schläuche sind 91 Zen­ timeter lang und haben einen Basisumfang von 38 Zentimetern. Alle Planungen und Anstrengungen, das ganze körperliche Training finden in diesem Moment ihre Erfüllung. Vergessen sind die dreistündige Reise nach Moskau, die neun Stunden Flug nach Petropawlowsk und der beschwerliche Weg in die einzelnen Camps. Nach zwei Tagen treffen wir wieder in unserem Basiscamp ein. Hier sehe ich auch Ivan wieder. Ich kenne ihn schon von einer Elchjagd in dieser Region. Er ist die gute Seele des Lagers. Dieser stille, alte Mann, der einmal Basketball profi war, lebt das ganze Jahr hier draußen. Er fährt einmal im Monat in die Stadt, besucht seine Freunde und kauft das Nötigste, dann kehrt er zufrieden ins Camp zurück. Er genießt die Ruhe und Abgeschiedenheit dieser Wildnis. Sein materieller Besitzstand dürfte nicht sehr groß sein, aber er besitzt alles, was man hier draußen zum Leben braucht, und das reicht ihm. Seine Ausstrahlung zeigt, dass er glücklich und zufrieden ist. Attribute, die bei uns, die wir alles nur in Geld oder Luxusartikeln messen, immer seltener zu finden sind. Ich weiß nicht, ob ich dieses Leben führen könnte, aber besser als zuvor kann ich ihn nach meinem Widdertraum verstehen.

Armin Lobscheid
Wild und Hund, 2013

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